Moskau am Abend des 10.10.2015
Startseite » Neuigkeiten » 

Allgemeines Russischlehrerseminar


Eine ruhige Gegend zur kreativen Fortbildung

Vorträge von Michaela Liaunigg und Lisa-Maria Goros

Auf der Terrasse des Seminarzentrums

Aspekte und Zeiten in Bewegung

Videokonferenz mit Birobidschan

Vortrag aus Kroatien

Das staatliche Seminarzentrum Raach bietet seit Jahrzehnten einen passenden Rahmen für Russischlehrerseminare. Vom 29. bis 31. August 2022 wurden didaktische Themen des Russischunterrichts besprochen, das sonst ausführlich behandelte Bereich Matura ausgepart.

Mag. Michaela Liaunigg und Lisa-Maria Goros, MA präsentierten einen neuen Zugang zur Grammatik der Aspekte. Sie unterrichten Russisch und Fachdidaktik an der Universität Wien. Mit Hilfe der Komplementärfarben Gelb und Blau zeigten sie, wie über Bilder das Sprachgefühl für grammatikalische Kategorien entwickelt werden kann. Der Lernende soll seine eigenen, muttersprachlich geprägten Vorstellungen in den Hintergrund stellen und sich auf eine neue Ästhetik einlassen. Durch ausgewählte Beispiele wird ein Sprachmuster zum Verständnis des Verbalaspekts gebildet. (Publikation: Aspekte verstehen.Übungen zum russischen Verbalaspekt in Texten.)

Der imperfektive Aspekt (gelb) bietet einen offenen Raum: Der Betrachter ist einbezogen in das Geschehen. Der perfektive Aspekt (blau) zeigt Begrenzung an: Beginn, Zeitabschnitte und ein Resultat. Mag. Liaunigg vermeidet die Begriffe "vollendet" und "unvollendet", weil sie die Aspektunterschiede missverständlich beschreiben.

Es bietet sich an, die Aspekte mittels Imperativen einzuführen. Sie sind morphologisch einfache Formen und erlauben eine frühe Einführung des Aspekts bereits im Anfängerunterricht. Außerdem sind sie in eindeutigen Mikrosituationen darstellbar. Spontan erzählte ein Seminarteilnehmer von einem Spaziergang über den Kolchosmarkt in St. Petersburg, wo einem Verkäufer ein Apfel vom Stoß fiel. Der Fußgänger hob ihn auf und der Verkäufer sagte: "Твоё - бери!" Warum nicht "возьми"? Der Verkäufer gab dem Helfer Zeit zu entscheiden, einen "Raum" zur Tat.

Das Phänomen der Aspektpaare könnte im Deutschen anhand der Gegenüberstellung von Nomina erahnt werden: das Springen - der Sprung; das Trinken - der Trunk; das Gehen - der Gang; das Singen - der Gesang; das Geben - die Gabe. Das erste Nomen vermittelt einen "imperfektiven" Gegenwartsaspekt. Das zweite Nomen, das dem perfektiven Aspekt entspricht, wird vom Partizip Perfekt gebildet. Das Russische kennt ähnliche Paare cпасание - спасение. Mag. Liaunigg nannte ein weiteres Beispiel: спасатель (Rettungsmann) steht für den ständigen Retter, während Христос Спаситель (Erlöser) derjenige ist, der die Menschen erlöst, gerettet hat.

Die Vortragenden unterstreichten den neurobiologischen Zugang zum Lernen vor: Das Verknüpfen hilft, aus dem Chaos eine Ordnung und damit Zufriedenheit zu schaffen. Muster finden, Zusammenfassen, Ordnung schaffen, Melodie und Rhythmus - das sind stützende Mechanismen des Lernens. 

Die Vortragenden boten eine Vielfalt von Übungen an, wobei der Schwerpunkt auf mehrkanaligen Übungen mit Bewegungen lag. Es wurde mit Farbkärtchen und Jonglierbällen gearbeitet. Zum Beispiel kann mit ausgewählten Verben (2-3) eine Übung im Kreis mit einem blauen und gelben Jonglierball durchgeführt werden: Die Schüler müssen hören, analysieren, reagieren und je nach Aspekt den richtigen Ball werfen und fangen. Der Lehrer sagt Sätze mit Wörtern unterschiedlicher Aspektformen, die Schüler werfen die Bälle. Wenn kein Platz in der Klasse für einen Kreis ist, können auch zwei bei der Tafel stehen und in die Klasse werfen. Andere Bewegungskombinationen: Stampfen bedeutet Gegenwart, Schritt nach vorn Zunkunft, Schritt nach hinten Vergangenheit, gelbe/blaue Kärtchen imperfektiver/perfektiver Aspekt. Man kann die Übung mit einem Wort beginnen: даю, я дал, она даёт, мы дадим... (s. Fotografiie). Das Lachen ergibt die nötige Pause zur geistigen Verarbeitung.

In Pausengesprächen tauchte ein kritischer Hinweis auf: Warum heißt es Akkusativ, nicht Amativ, винительный, nicht любительный падеж? 

Es folgten zwei Videokonferenzen.

Zuerst schaltete sich Erzbischof Efrem Prosjanok über zoom aus Birobischan zu. Er wirkt als Erzbischof im Fernen Osten Russlands im "Autonomen Jüdischen Bezirk" (Автономная еврейская область). In Gesprächen mit den Teilnehmern des Seminars erzählte er über seine Arbeit, die klimatische Umstellung (im Sommer bis zu 40° im Winter bis -45°C), über das Verhältnis zur Zeit, die Mentalität der Menschen im Fernen Osten, wobei er seinen Eindruck mitteilte, dass die härteren klimatischen und wirtschaftlichen Bedingungen zu einem größeren Zusammenhalt führen. Er interessierte sich für die berufliche Tätigkeit jedes Teilnehmers des Seminars und berichtete über seine Eindrücke während seines Aufenthalts in Österreich 2005. P. Sebastian ist mit Erzbischof Efrem seit seinem Studienauftenthalt an der Moskauer Geistlichen Akademie 2002 bekannt, als Erzbischof Efrem dort studierte.

Irena Miculaco, Professorin für Slawistik in Pula, Kroatien, hielt einen Vortrag über ihre Forschungen zu neuen Ausdrücken oder gewandelten Termina im Russischen und Kroatischen, die sich im Zuge der COVID-Pandemie gebildet hatten. Derzeit läuft eine internationale Slawistikkonferenz in Pula in Präsenz und online. Frau Miculaco konzentrierte sich auf Termina im medizinischen Bereich, schloss aber auch allgemein in der Gesellschaft gebräuchliche Neologismen ein, die einen humorvollen Charakter haben wie карантини (карантин/мартини), карантикулы (карантин/каникулы), шашлычники (Personen, die die Selbstisolation brachen und im Park spazierten, erhielten die Bezeichnung von Schaschlykbratern, die in Parks präsent sind), сидидомцы (Menschen in Quarantäne).

Mag. Eva-Maria Kaiser stellte bewegte Übungen für den Unterricht vor, nachdem sie das Unterrichtsgeschehen in Reflektieren, Erleben, Gestalten geteilt hatte.

"Aufwärmübungen für den Unterricht"

  • mit einer Linie auf dem Boden: Verb dem perfektiven und imperfektivem Aspekt zuordnen - Springen auf die richtige Seite
  • mit einer Linie auf dem Boden und zwei Sesseln: Anstellen und sich schnell auf den richtigen Sesseln setzen - perfektiv/imperfektiv
  • mit zwei Linien auf dem Boden - Zuteilen von Nomina zum Geschlecht durch Springen
  • mit Fragewörtern Sätze bilden - Fragepronomina, jeder bekommt eine Karte, in Paaren stellt man dem Partner eine Frage, tauscht dann die Kärtchen und den Partner. Wenn man das zweite Mal das ein Kärtchen hat, nimmt man ein neues.
  • Vokabelwiederholung: in Paaren, jeder hat ein Wort, sagt einen Satz oder stellt eine Frage, der andere muss reagieren, dann Austausch der Kärtchen
  • Diaolog zum Einkaufen: "Ты всё купил/a?" (Fragensteller hat einen Zettel gezogen und den Gegenstand geknetet) "Да-нет. Я не знал/a где купить ....?" "Это не ... . .... можно купить в...." Die Gegenstände werden mit Knetmasse geknetet und erraten. Beschleunigte Variante: jeder knetet. (Dialog aus Doroga 2/urok 5)

  • Jeder bekommt die Hälfte einer Filmrezension (halbes Blatt mit nicht vollständigen Sätzen), die er nicht herzeigen darf. Die Informationen, die man herauslesen kann, schreibt man heraus (5-10min Zeit). Dabei überlegt man sich, was man noch über den Film wissen möchte. Man darf nicht nach der Bezeichnung des Filmes fragen. Variante: Ein Film hat zwei Rezensionen. Präsentierte Filme: "Непослушник", "Многоэтажка", "Одиннадцать молчаливых мужчин". Siehe Filmrezensionen Dialog 3. Andere mögliche Genres: Biografien, Kontaktanzeigen, Wohnungsanzeigen, Kurztexte.

Über den Schriftsteller Sergej Esenin (gest. 1925) sprach Dr. Erich Poyntner. Er charakterisierte ihn als tiefsinnigen und gleichzeitig schwierigen Zeitgenossen, der sich bis heute großer Popularität erfreut. "Мне осталась одна забава", vorgetragen von С.Безруков, zeigt die Ausdrucksstärke seiner Dichtung. Anhand einer Esenin-Biografie erstellten die Seminarteilnehmer eine kurze Zusammenfassung seines Lebens. Dr. Poyntner schrieb auf der Leinwand mit, dann strich er Wörter heraus (grammatikalisch oder semantisch). Dann werden die Lücken rekonstruiert und durch ihre Grundform ersetzt. Danach sollten die Teilnehmer anhand der Grundwörter den Text wiedergeben und schließlich den Text frei nacherzählen. Das Entscheidende ist, dass der Lehrer mitschreibt per Beamer, was die Schüler ansagen, und derselbe Text immer weniger auf der Leinwand wird bis zum leeren Blatt. Die Schüler sind aktiv und der Lehrer behält die Kontrolle, spricht aber fast nicht.

 




Seite drucken